Innovationen im Handwerk haben viele Gesichter. Sie entstehen bei der Bewältigung von Herausforderungen. Oft erscheinen sie klein, erleichtern aber die Arbeit der Handwerkerinnen oder lösen ein Problem. In ihrer Vielfalt tragen sie dazu bei, traditionelles Handwerk zukunftsfähig zu machen.
Dichtring im Orgelbau, Rudolf Janke, 1960er Jahre
Die Beherrschung des Orgelwindes (des Luftstroms, der den Ton in den Pfeifen erzeugt) ist eine Herausforderung im Orgelbau. Orgeln sind als kostspielige Investitionen von Gemeinschaften auf Langlebigkeit ausgelegt. Sie müssen daher dauerhaft gut abgedichtet sein. Der historische Orgelbau kennt Dichtungen aus Leder, Pergament oder Papier. Wie neuartige Materialien Einzug in den Orgelbau halten, verdeutlicht dieser Dichtring.
Der Orgelbaumeister Rudolf Janke erlangte in den 1960er Jahren auf einer Messe Kenntnis von einem neuen Material der Firma AIREX, das für die Herstellung von Turnmatten genutzt wurde. Der für die damaligen Verhältnisse außergewöhnlich alterungsbeständige Kunststoff besteht aus luftundurchlässigen Kügelchen.
Janke experimentierte in seiner Werkstatt mit dem Material. Er stach Ringe aus und belegte sie zusätzlich mit einem Fiberring, einer abriebfesten Faserdichtung aus dem Sanitär- und Heizungsbauerhandwerk. Diese Dichtringe verbaute er in den beweglichen Windladen, die den Orgelwind an die einzelnen Pfeifen freigeben.
Das Prinzip bewährte sich. Tausende dieser Dichtringe für die über 160 Orgeln, die Janke in seiner Werkstatt in Bovenden herstellte und restaurierte, wurden von Hand mit dem Locheisen ausgestochen.
Der Orgelbaumeister, der sich um die neobarocke Orgellandschaft rund um Göttingen verdient gemacht hat, versteht sich „… als Idealist. Einfach die Sache gut zu machen! So gut wie möglich. Und das Ganze dann natürlich auch zu können.“ Im Dienste qualitätvollen Orgelbaus hatte er nichts dagegen, als ein befreundeter Kollege namens Schmid auf eine weiterentwickelte Version des Janke- Ringes ein Gebrauchsmuster anmeldete und in die maschinelle Produktion ging. Auf diese Weise erlangte der Dichtring Marktreife. „Der ganze Orgelbau der Welt nimmt ‚Schmid‘sche Ringe‘. Das sind aber Janke‘sche Ringe“, kommentiert Janke die erstaunliche Entwicklung heute zwinkernd.